»Kommst du morgen wieder?«
Wir sind auf der Rückreise aus Mazedonien und machen in Nis in Südserbien einen Besuch: Seit dem 20. Januar ist Sadbera A. hier, mit ihren sechs Kindern im Alter von einem bis 11 Jahren. Fünf Söhne und eine Tochter. Sadbera wurde abgeschoben, mit 150 anderen Menschen, eine Sammelabschiebung aus Baden Württemberg. Mitten im Winter – morgens um sechs.
Jetzt ist Sadbera in Nis, Nis ist die drittgrößte Stadt in Serbien. 260.000 Einwohner wurden 2011 gezählt, ungefähr 4.000 Roma waren 2002 hier registriert – wobei die realen Zahlen weit von den offiziellen abweichen. Die Lebensbedingungen von Roma in Südserbien sind mit einer hohen Arbeitslosigkeit und geringer Sozialhilfe perspektivlos. Ein großes Problem sind Zwangsräumungen und Vertreibungen.
Eine romafeindliche Stimmung in der Mehrheitsbevölkerung und häufige rassistische Attacken gegen Roma sind in Serbien an der Tagesordnung, genau wie Nationalisten, Hooligans, aktive Neonazis.
Als wir ankommen dämmert es. Wir treffen Sadbera vor dem Haus ihres Vaters, wo sie vorläufig untergekommen ist. Haus – das klingt fest. Das Skelett eines Hauses, ein Rohbau, die untere Etage halbwegs fertig. Anderthalb Zimmer, in denen alles passiert: Essen, Kochen, Schlafen. Das einzig fließende Wasser: Es tropft durch die Decke. Die Toilette: im Freien, ein Loch. Sadberas Schwiegervater hat ihnen seine Räume vorübergehend überlassen und wohnt selbst in einem Container, weil es nicht genug Platz für alle gibt. Außerdem gibt es keine Papiere für das Haus, es ist inoffiziell gebaut.
Crvena Zvezda, so heißt der Teil von Nis, in dem Sadbera bis Juli 2013 lebte. Mit ihren ersten fünf Kindern, ohne Toilette und Wasser, ohne Strom, oft ohne Essen, mit einem Holzofen als Heizung. Dann entschloss sie sich zu gehen, aus Sorge um die Kinder, denen es immer schlechter ging. Auf dem Gelände einer ehemaligen Backsteinfabrik, das in Privatbesitz ist, gibt es weder Kanalisation noch Wasser aus der Leitung.
Wir sind nicht die ersten, die nach der Abschiebung zu Besuch kommen. Doch die Anspannung ist groß. Dass die Erwachsenen sich unterhalten wollen kümmert die Kinder herzlich wenig. Zuerst schmeißen sie das Huhn raus. Dann nehmen sie ein Kissen und legen sich auf den Boden um zu zeigen, wo sie schlafen.
Sadbera kommt aus Freiburg. Dort gibt es seit ihrer Abschiebung wütende Proteste. Es waren schon einige Freiburger zu Besuch. Ohne deren Hilfe wäre die Situation noch schlechter. Zwar hat die Landesregierung Unterstützung zugesagt. Aber wird diese Zusage gehalten? In Freiburg gibt es verschiedene Versionen, letztlich ein Streit über Verhältnismäßigkeiten. Die Kleidung, die auf einem Sofa liegt gibt es, weil es Unterstützer gibt. Und die Situation ist alles andere als gut: »Katastrophe«, sagt Sadbera. In Freiburg wurde Geld gesammelt und jetzt reden wir darüber, wie es möglich ist, dieses am besten zu verwenden. Ein Haus mieten? Schwierig, und auch nicht wirklich nachhaltig. Ein Haus kaufen? Das auf den Namen von Sadbera eingetragen würde? Dass es auf ihren Namen läuft ist uns wichtig, es wäre die Bedingung, sagen wir, und bekommen skeptische Blicke.
Wir fragen nach Krankenversicherung und erfahren, dass nicht alle Kinder versichert sind, weil deren Papiere abgelaufen sind. Und Sozialhilfe? Wir kriegen nichts, sagen sie. Nach der Abschiebung waren zwar vierhundert Euro zugesagt. Aber als sie die holen wollten wurde ihnen gesagt dafür müssten sie nach Belgrad gehen.
In Freiburg wurde sich um Sadbera, die Unterstützung bitter nötig hat und um die Kinder gekümmert. Hier werden sie krank – beziehungsweise sie sind es bereits. Medikamente, das war das einzige, was wir mitbringen sollten. Die Unterstützung, die die junge Mutter in Freiburg erhielt wirkte stabilisierend. Hier gibt es auf keiner Ebene eine Fortsetzung. Nicht nur die gesundheitliche Situation ist miserabel, auch der Zugang zu Bildung für die Kinder oder auch nur irgendeiner Förderung ist beschränkt. In die Romaschule können Sadberas Kinder nicht gehen, weil sie kein Serbisch sprechen. Dejan, der älteste, geht in die Schule. Aber da die Dokumente der Familie abgelaufen sind und erneutert werden müssen, sind sie nicht registriert und bekommen bis jetzt weder Sozialhilfe noch Dejan wie sonst üblich Essen in der Schule. Häufig wird die Schulbildung von abgeschobenen Kindern nicht fortgesetzt, aus vielen Gründen. Es fehlen Dokumente, Sprachkenntnisse, Geld um Kleidung oder die Schulspeisung zu bezahlen. Zwar ist der Besuch der Grundschule obligatorisch. Aber wenn die Kinder nicht in die Schule gehen, wird praktisch nichts getan. Sadberas Situation ist aussichtslos, und das ist hier normal. Eine NGO aus Nis hat 250 Fälle von Verletzungen der Frauenrechte in Serbien dokumentiert.
In Deutschland ist das Wohl von Kindern ein Argument, das man bringen können sollte. In jedem Bericht wird von den Fortschritten der Kinder erzählt, die sie in Deutschland machten. Sadberas Asylantrag wurde abgelehnt, mit dem Status der Duldung blieb sie trotzdem, stellte einen Asylfolgeantrag und der Petitionsausschuss beriet über ihren Fall – und lehnte ab. Stattdessen wurde zugesagt, die Familie in Serbien mit Unterkunft und medizinischer Versorgung zu unterstützen. Aber mal abgesehen davon, dass dann ganz logisch ein Erbsenzählen über diese Unterstützung beginnt und auch abgesehen davon, dass die Situation vor Ort solchen Zusagen widerspricht und sie zur Farce werden lässt: Der Schutz des Kindeswohls, es ist offensichtlich, wäre gewesen Sadbera und ihre Kinder nicht abzuschieben.
Jetzt wäre es das mindeste, Sadbera und ihre Kinder die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen sowie den traumatisierenden Erfahrungen der Abschiebung und der gegenwärtigen Situation irgendwie angemessen zu begegnen. Das mindeste. Der Verantwortung für den Schutz der Kinder haben die für die Abschiebung Verantwortlichen. Übernehmen müssen sie jetzt andere. Die Spenden aus Deutschland sind die einzige Hilfe, die Sadbera hat. Aus den Augen, aus dem Sinn – diese Variante ist keine Lösung. Und das sie in dem Fall nicht funktioniert, weil sich viele Menschen einmischen, ist gut.
Kommst du morgen wieder fragt Sadbera, als ich zurückkomme, um einen Kamera-Objektivdeckel zu suchen. Ich weiß noch nicht, sage ich wahrheitsgemäß – und sehr froh, dass ich nicht verneinen muss. Die Situation ist so schon traurig genug.
Was tun? Petition unterschreiben – für die Kampagne stärken – Spenden, spenden und noch mal spenden – die Familie zurückholen.
Druck machen, auf allen zur Verfügung stehenden Ebenen.
alle bleiben! 2.4.2015