Die Familie Ametovic wurde aus Freiburg in ein Roma-Lager abgeschoben. Helfer schlagen Alarm.
Pressemeldung JHW Freiburg Ametovic 15-02-03
Abschiebung einer Roma-Familie Streit entzweit Grüne und SPD
Von SIR/dpa
Serbien:Roma-Lager – Nis
Freiburger Helfer bei den Ametovics – So haust die abgeschobene Familie
Alle sechs Kinder sind krank, die Mutter überfordert und gesundheitlich angeschlagen: Die Familie Ametovic wurde aus Freiburg in ein Roma-Lager abgeschoben. Helfer schlagen Alarm.
Bedrückende Neuigkeiten zu den Ametovics: Die Freiburger Reisegruppe, die bis Samstag drei Tage lang bei der vor zwei Wochen abgeschobenen Familie Ametovic im Roma-Lager Nis war, hat ihren Bericht früher als angekündigt öffentlich gemacht. Mit fünf Seiten Text, Fotos und Videos schildern sie die hilflose Lage der sechs kranken Kinder im Alter zwischen einem und zehn Jahren und ihrer kranken, verängstigten und überforderten Mutter.
Was wäre ohne die Hilfe aus Freiburg? Laut dem Bericht von Daniela Lang, Dajan und Matthias Reiser vom Jugendhilfswerk und Julien Bender, dem Vorsitzenden des SPD-Kreisverbands – der Reisegruppe aus Freiburg – gab es für die Ametovics bisher keine Unterstützung durch serbische Behörden. Die Familie sei mittellos in Belgrad angekommen, habe sich ohne Fahrkarte nach Nis durchschlagen müssen – solle nun ein Bußgeld bezahlen – und bekomme frühestens nach drei Monaten Bearbeitungszeit Sozialhilfe. Selbst dann werden die 80 Euro monatlich, die Sadbera Ametovic und nur maximal drei ihrer sechs Kinder bekommen könnten, nicht reichen, ist die Einschätzung der Besucher, die auch mit Vertreterinnen von zwei Nichtregierungsorganisationen gesprochen haben.
Kinder ohne Schuhe, in nasser und verdreckter Kleidung
Ohne die Spenden aus Freiburg hätte die Familie bisher kein Essen kaufen können, keine Windeln für die kleinen Kinder. Als die Freiburger ankamen, seien die Kinder nicht witterungsgemäß angezogen gewesen, zum Teil ohne Schuhe, ihre Kleidung war stark verdreckt und nass. Wäsche könne nur mit der Hand gewaschen werden, sie trockne derzeit wegen des Wetters kaum. Alle Kinder waren erkältet, das Baby Martin war mit einer spastischen Bronchitis im Krankenhaus. Die Behandlung dort sei zwar für Einheimische kostenlos – die meisten Medikamente allerdings müssten privat bezahlt werden –, doch Martin galt als Ausländer, weil er in Freiburg geboren wurde. Der Mutter gehe es schlecht: Sie klage über gynäkologische Beschwerden, Schlafstörungen, Ängste und wirke traumatisiert, die Kinder seien nervös.
Die zerstörte Baracke mit zwei Zimmern, in der die Familie früher wohnte, sei nicht mehr bewohnbar: Keine Fenster, Schimmel, zerstörte Decke. Darum sind die Ametvoics tagsüber im neun Quadratmeter kleinen Zimmer von Sadbera Ametovics Vater – ohne Heizung, ohne fließendes Wasser. Nachts weichen sie derzeit in den Raum eines Onkels aus, der aber bald aus Deutschland zurückkehren wird. In diesem Raum gebe es ebenfalls weder Heizung noch Wasser, die älteren Kinder und die Mutter schlafen auf dem Boden. Wenn der Onkel zurückkommt, werden die Ametovics obdachlos sein, fürchten die Freiburger.
Überall liegen Exkremente und verwesende Tierkadaver
Im Wohnumfeld der Ametovics liegen Exkremente, verwesende Tierkadaver, Unrat. Ihre „Toilette“ neben dem Raum des Großvaters ist ein Loch im Freien. Die kleineren Kinder könnten in keinen Kindergarten gehen, denn das würde Geld kosten. Die Älteren könnten nicht die Roma-Schule besuchen, weil dort nur Serbisch gesprochen werde – das verstehen sie nicht. Ihnen drohe nun, dass sie in eine Schule für Kinder mit geistiger Behinderung geschickt werden.
Die Reisenden berichten von ihren Gesprächen mit Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen: Sie hätten erläutert, dass es in der Regel nach einer Abschiebung nie Begleitung durch serbische Behörden gebe – und halten es für ausgeschlossen, dass den Ametovics eine Wohnung zur Verfügung gestellt wird. Sie glauben nicht, dass es finanzielle Unterstützung geben wird, die Erfahrungen mit anderen Roma, die aus Deutschland abgeschoben wurden, sprächen dagegen.
Fortschritte der Kinder wurden zunichte gemacht
Das Fazit der Freiburger: Die hilflose Situation der Familie im Roma-Lager in Nis sei kein Einzelfall. Innerhalb von mehreren Roma-Siedlungen in Nis sei das Lager der Ametovics das prekärste. Wegen der Krankheiten und der psychischen Überforderung sei ihre Lage geprägt von besonderer Härte. Und: Die Entwicklungsfortschritte, die alle Kinder in Freiburg dank des großen Hilfssystems gemacht hätten, seien durch die Abschiebung zunichte gemacht. Diese Fortschritte würden das Überleben im rohen Lager-Alltag nun sogar behindern: Der zehnjährige Dejan sei „zu nett“, um sich in seinem extremen, von bitterer Armut geprägten Umfeld durchsetzen zu können. Der Gemeinderat unterstützte gestern einen Brief, den Grüne und SPD an die Landesregierung schreiben. Ihr Anliegen: die Rückführung von Familie Ametovic.
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