1. Dezember 2016 11 Uhr Landtag 1, Düsseldorf
Das Ganze schmerzt hart
1. Dezember 2016 11 Uhr Landtag 1, Düsseldorf
Der Petitionsausschuss des Landtages entscheidet über die Perspektive der Brüder Selamet und Hikmet P., der eine hier geboren, der andere im Alter von vier Jahren als Kinder von Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo hergekommen.
Kommt alle ab zehn Uhr, um die Brüder zu unterstützen. Zahlreiches Erscheinen von vielen Einzelnen soll hier noch mal unterstützen, was Tatsache ist: dass beide mit ihren zahlreichen Aktivitäten nicht aus dem kulturellen und politischen Leben hier wegzudenken sind! Dass wir sie brauchen.
Es gibt schon mehrere Filme über das zerissene Leben der Brüder – die sich selbst als faktische Inländer bezeichnen. Trotz jahrelangem Durchhalten im Status der Duldung, einer Abschiebung und einer Rückkehr nach Deutschland. Ein Filmemacher aus dem Kosovo hat sie fünf Jahre lang immer wieder begleitet. Kennengelernt hatte er sie am Flughafen in Priština. 2010 wurden die zwei jüngeren Brüder abgeschoben, nach 22 Jahren in Deutschland. Fünf Jahre waren sie getrennt vom älteren Bruder, von ihren Eltern. Fünf lange Jahre, in denen ihnen aufgrund ihrer Abschiebung die Einreise nach Deutschland verboten war. Auch danach war der Weg nicht legal möglich: zu Fuß überquerten sie die Grenze, gingen durch den Wald. Einen Kompass hatten sie sich heruntergeladen, als App auf ihrem Smartphone.
2011 entschied ein deutsches Verwaltungsgericht, dass die Abschiebung ein Jahr zuvor rechtswidrig war. Doch die juristische Entscheidung blieb ohne Konsequenzen: Anstatt dass die Brüder zurückgeholt worden wären, zahlte die Familie die Kosten für die unrechtmäßige Abschiebung beim deutschen Staat ab. Beschweren darüber tun sich die drei Brüder nicht. Es ist für sie abgehakt, es gibt Wichtigeres zu tun: Sich mit anderen zusammentun, eine Initiative gründen. Daran arbeiten sie seit ihrer Rückkehr nach Deutschland. Schon ein paar Monate nach ihrer erneuten Flucht planen sie ein Fest für die BewohnerInnen einer Flüchtlingsunterkunft. Seit Sommer 2015 unterstützen sie Roma im Kampf um ihr Bleiberecht. In München spielen sie auf einer Kundgebung gegen die neugeplanten Abschiebelager. Ihr Verein, Roma Art Action, ist Initiative und Freundeskreis zugleich. Von Kundgebungen bis zu Tanz-Workshops beziehen sie mit vielem in der Gesellschaft Position und helfen anderen Betroffenen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt nicht allein auf der Unterstützung der Roma. »Wir wollen Inklusion«, sagen sie, »und wir leben Inklusion.«
Ihre Filmpremiere in Essen hatte große Resonanz. Der Oberbürgermeister war anwesend, Vertreter von Wirtschafts- und Kulturverbänden. Es schien fast so, als würden sich diese schmücken wollen mit den drei jungen Männern. Deren Aufenthaltsstatus sollte auch am Ende des Abends nicht gesichert sein. Sowohl die Protagonisten wie auch die meisten Gäste sind gegen die Sortierung von Menschen in »mit« und »ohne« Bleibeperspektive. Mark Terkessidis zum Beispiel, ein aus Berlin angereister Migrationsforscher, formuliert das stellvertretend für sehr viele im Saal: »Wenn jemand in Deutschland geboren ist, 22 Jahre hier verbracht hat, dann wirds natürlich schwierig, überhaupt noch eine ausländerrechtliche Frage daraus zu machen«. Auch im Film und jetzt im Saal anwesend sind Fahire und Xhelal, die Eltern der drei. Fahire ist durch die Erinnerung an ihre auf Zelluloid festgehaltenen Reisen in den Kosovo, wo sie versuchte ihren Söhnen zu helfen, in ernster Stimmung. Dass die Söhne in Sicherheit und in der Nähe sind, ist für sie das Wichtigste. »Erst wenn die Jungs einen sicheren Aufenthalt haben, kann ich mich beruhigen«, sagt sie.
Doch wie soll sie zur Ruhe kommen? Drei Monate, nachdem ihre beiden jüngsten Söhne nach Deutschland zurückkehren, bekam auch Hikmet, ihr Ältester, eine Abschiebungsanordnung, für den 9. April 2015. Nun wollte die Ausländerbehörde auch ihn im Kosovo sehen. Zu dem Zeitpunkt lebte Hikmet 27 Jahre lang im Ruhrgebiet, war dort zur Schule gegangen und aufgewachsen. Sein Lebenslauf erzählt von diversen kleinen kurzen Jobs, mit vielen unfreiwilligen Unterbrechungen. Zuletzt wollte er eine Ausbildung zum Tontechniker machen, was nicht ging, weil er eine Duldung hatte, die immer nur um einen Monat verlängert wurde. Auch eine feste, längere Anstellung konnte er so nicht finden.
Dabei waren die drei vorangegangen Jahre für Hikmet als so etwas wie eine Bewährungsfrist festgelegt worden: Bis 2015 werde seine Duldung verlängert, hieß es, vorausgesetzt er käme für seinen Lebensunterhalt selbst auf und ließe sich nichts zu schulden kommen. Ein faires Angebot, dachten die Richter. Und doch ein unmoralisches Angebot, für ein Vertriebenenkind »mit Duldungshintergrund« unter dem Eindruck der Abschiebung seiner Brüder. Mit dem Status Duldung zu leben ist ein Zustand der belastet und den der in Deutschland übliche Begriff »Migrationshintergrund« nicht ausreichend beschreibt. Duldung ist eine Lähmung, eine Blockade, ein Druck, der sich häufig über viele Jahre hinzieht. Die Betroffenen können sich nicht bewegen, keine Pläne machen, nicht reisen, unterliegen speziellen Regeln. Das hat Folgen. »Du fühlst dich nicht willkommen«, sagt Hikmet. »Sie wollen meine Identität löschen, sie wollen nur, dass ich verschwinde«. Seit fast 30 Jahren ist er im Ruhrgebiet und trägt an Stelle der Behörden und ihrer Sachbearbeiter die Verantwortung für die Folgen dieser Gesetze.
Schon als Kinder begannen die Brüder zu tanzen, Beats zu produzieren und Lieder zu schreiben. »Es brennt!« heißt einer von Hikmets Songs, geschrieben nach der Abschiebung seiner Brüder. Vorher sah es so aus, als hätten alle drei glänzende Karrieren als Rapper vor sich, die Auftritte häuften sich, sie bekamen die ersten Gagen und schlugen Anfragen von Labels aus, weil sich die Konditionen immer weiter verbesserten. Bis zur Abschiebung, die alle drei Brüder betraf. »Unsere Pläne froren genauso ein wie die Musik und blieben stehen«, erzählt Hikmet. Er habe es nicht geschafft, die Sorgen zu verdrängen und die eigene Karriere in Deutschland weiterzuverfolgen, ohne seine Brüder. Stattdessen jobbte er mal hier, mal da, um den Brüdern Geld zu schicken. Für ihn war die Verantwortung eine große Zumutung. Als Flüchtlingskinder wurden alle drei faktisch für Entscheidungen der Eltern verantwortlich gemacht: Auch in zweiter Generation blieben sie noch Kriegsflüchtlinge. Geflohen vor einem Krieg, an dem später die Bundesrepublik beteiligt war und in dem die Bundeswehr ihren ersten Auslandseinsatz nach 1945 hatte – in einem Land, in dem bis heute die Bundeswehr eingesetzt ist, um mit für Ordnung zu sorgen. Als Roma, das berichten Kefaet und Selami, waren sie im Kosovo starken rassistischen und nationalistischen Ausgrenzungsmechanismen ausgesetzt – nicht nur von der Mehrheitsbevölkerung: Sie berichten auch von Polizeiübergriffen und willkürlichen Festnahmen, von in letzter Minute vereitelten Angriffen und davon, dass sie manchmal nicht mit dem Bus fahren durften – wegen ihrer Hautfarbe. Die politisch engagierte Haltung der Brüder im Kosovo ist nicht gerne gesehen. Unter einer Dokumentation von Romadnes, in der beide von ihrer Situation berichten und die im Internet zu sehen ist, finden sich fast ausschließlich bedrohliche und beleidigende Kommentare, die die rassistische Stimmung gegen Roma deutlich zeigen. Roma fehlt es im Kosovo an allem, das haben Kefaet und Selamet erlebt. In den fünf Jahren nach ihrer Abschiebung haben sie versucht, sich dort irgendwas aufzubauen. Aber über kurzfristige Projekte hinaus gab es keine Perspektive.
Nach fünf Jahren im Kosovo kam Selamet mit seinem Bruder Kefaet wieder zurück. Die abgeschobenen Jahre wirken, noch, weiter, auf sie und auch auf ihre Eltern. Ein Ausnahmezustand der anhält, mindestens solange ihr Aufenthaltsstatus nicht gesichert ist. Alle drei Monate müssen sie ihre Duldung verlängern. Der Asylantrag wurde abgelehnt, nun ist die Kommune für die Fortsetzung ihres Aufenthalts zuständig. Die Hände in den Schoß legen und auf Behördenentscheidungen warten tun die Brüder nicht. Sie bleiben dabei, planen Projekte, machen weiter. »Der Weg, den ich gehen musste um in Deutschland bleiben zu können wirkte im Spiegel der ›Normalbiografie‹ meiner Freunde geradezu absurd und war mir früher peinlich. Und das, obwohl wir hier faktisch Inländer sind und uns so fühlen. Im Kosovo sind wir so was wie Aliens gewesen – als Roma ständig in Gefahr«, sagt Selamet.